Mwangaza und die Geschichte mit dem Zahn. Agatha Ngonyani (Text). Antje Flad (Illustrationen). Carlsen, 2011. (Lesemaus)
Eine Geschichte, die wir schon vor langer Zeit gelesen haben, aber immer wieder gerne darauf zurückkommen. Mwangaza ist wie ein Freund, mit dem sich die Kinder sehr gut identifizieren können und sie lieben die beiden Stellen, wo der Text auf Kiswahili gelesen wird. Die Geschichte ist Teil der Lesemaus-Serie vom Carlsen Verlag, ist einzeln erhältlich sowie in den Bänden „Kindergarten-Geschichten, die Mut machen“ und in „Starke Geschichten für alle Kinder dieser Welt“ (sofern sie gerade lieferbar sind, ansonsten ist nur gebraucht eine Option).
Es geht um Mwangaza, einen vierjährigen Jungen, der im Kindergarten eine Geschichte erzählen soll und ein bisschen Bauchschmerzen hat, weil er nicht weiß, was er erzählen soll. Die Besonderheit: Mwangazas Mama kommt aus Tansania, sein Papa aus Deutschland und die Familie lebt in Deutschland. Mwangaza hat noch fünf Schwestern. Abends, wenn Mama sie ins Bett bringt, beten sie gemeinsam auf Kiswahili und dann erzählt Mama Geschichten aus ihrer Heimat, vom Kilimandscharo oder von Elefanten, die dort leben. Doch Mwangaza kann nicht schlafen – zu sehr beschäftigt ihn die Sorge vor dem eigenen Geschichtenerzählen am nächsten Tag im Kindergarten. Er steht auf und geht zu seinen Eltern ins Wohnzimmer. Kurze Zeit später kommt seine große Schwester Amani hinzu: ihr ist ein Zahn herausgefallen! Irgendwie sind plötzlich alle sechs Kinder wach und die ganze Familie geht in den Garten. „Und jetzt singen wir das Lied, das wir immer singen, wenn bei einem von euch ein Zahn herausgefallen ist. So wie es die Kinder in Tansania tun“, sagt Mama. Denn die Kinder dort werfen einen ausgefallenen Zahn auf das Hausdach, damit ihn der Rabe („Kunguru“) holt und dafür einen kräftigeren Zahn bringt. Dies ist dann natürlich auch die Geschichte, die Mwangaza am nächsten Tag im Kindergarten erzählen will. Und dann geht er ganz allein ins Bett, denn er ist ja schon groß.

Insgesamt eine sehr nette Geschichte über ein Problem, das sicherlich die meisten Kinder nachvollziehen können. Das Besondere hier ist, dass es aus der Perspektive eines Kindes einer binationalen Familie erzählt wird. Man lernt gleichzeitig etwas über eine andere kulturelle Version der „Zahnfee“. In dieser Hinsicht also wirklich gelungen. An der Geschichte gefällt mir nicht so sehr, dass der Vater so passiv ist – er hat eigentlich nur eine Statistenrolle. Und dass die Familie so viele Kinder hat, halte ich für problematisch, da es in stereotypen Vorstellungen von „afrikanischen Familien“ verwurzelt scheint. In den Illustrationen findet sich ebenfalls eine teilweise stereotype und nicht authentische Darstellung. Obwohl die Illustrationen insgesamt schön sind, mit kräftigen Farben und einem Stil, der wirklich gemalt aussieht, erscheinen die Möbel und Einrichtung etwas gewollt bunt und fröhlich: Kissen und Vorhänge haben große Aufdrucke, die afrikanischen Tiere Giraffe, Zebra und Löwe sind untergebracht (als Deko, Bettbezug und Kuscheltier) und im Kinderzimmer stehen tatsächlich(!) zwei Trommeln neben dem Bett. Den afrikanischen „Touch“, wenn er denn unbedingt sein muss, hätte man sicherlich etwas eleganter und authentischer lösen können. Auch die Lebenswelt ist etwas seltsam: Am Anfang wird die Familie in einer Straße oder Fußgängerzone in einer menschenleeren Stadt gezeigt, deren Häuser in Gelb-, Rosé- und Beigetönen eher an den Mittelmeerraum als an Deutschland erinnern. Auch scheint die Familie ein sehr großes Haus mit Garten zu besitzen, was zwar auf dem Land schon sein kann, aber dennoch nicht so häufig ist – zumal mit sechs Kindern. Hier hätte ich mir etwas mehr Authentizität gewünscht.

Wie bereits geschrieben, können sich die Kinder sehr gut mit Mwangaza identifizieren: da hat man schon mal etwas Bammel, wenn man im Kindergarten vor der ganzen Gruppe eine Geschichte erzählen soll. Gleichzeitig ist es eine tolle Aufgabe zum Wachsen. Es wird schön gezeigt, dass es in Ordnung ist, Angst vor einer Aufgabe zu haben und nach einer Lösung zu suchen. Der Verlust der Milchzähne ist bei uns ja noch kein reales Thema, dennoch haben sie es natürlich bei anderen Kindern im Kindergarten und in der Verwandtschaft mitbekommen. Sie schaudern davor, da sie sich nicht vorstellen können, dass es wirklich nicht schmerzt. Gleichzeitig sind sie fasziniert von der Idee einer Zahnfee – oder eben hier des Rabens, der den alten Zahn mitnimmt und irgendwann einen neuen bringt. Meine Kinder sind auch total begeistert von den fremdsprachigen Passagen im Buch, die ich immer wieder vorlesen, bzw. vorsingen muss. Das Lied vom Raben wird am Ende der Geschichte auf Kiswahili und auf Deutsch präsentiert. Natürlich wollen die Kinder es endlos in Kiswahili vorgesungen bekommen, obwohl ich diese Sprache nicht kenne und vermutlich auch alles falsch ausspreche (ganz zu schweigen von der Melodie des Liedes, die mir völlig unbekannt ist). Die Kinder kugeln sich vor Lachen und Freude über die unbekannten Wörter. Außerdem ist es toll, eine binationale Familiensituation zu haben, da können viele Parallelen gezogen werden, dass Eltern aus zwei verschiedenen Ländern kommen und zwei verschiedene Sprachen sprechen.

Die Geschichte ist übrigens (momentan) komplett auf einfachvorlesen zu finden, was ein Angebot der Stiftung Lesen ist. Wöchentlich werden dort drei Geschichten/Bücher für die Altersstufen ab 3, ab 5 und ab 7 freigeschalten (zusätzlich zu Geschichten ab 1 und ab 2). Die Geschichten sind vier Wochen online verfügbar und können auch ausgedruckt werden. Obwohl echte Bücher für kleine Kinder natürlich besser sind, allein wegen der Haptik und des leichten Vor- und Zurückblätterns, ist es eine tolle Möglichkeit, neue Bücher kennenzulernen und mal einen Blick hineinzuwerfen.
© Kathrin Schneider