Odo. Dayan Kodua (Text), Co-Autor Jando, Robby Krüger (Illustrationen). Gratitude Verlag, 2019.

Nachdem meine Einträge im März immer sporadischer wurden (geänderte Schlafbedürfnisse des Babys, ein paar Prüfungen), hoffe ich, ab April doch wieder regelmäßiger posten zu können! Am Lektürematerial liegt es nicht – der Stapel wächst!

Umso mehr freue ich mich, heute über diesen Zufallfund zu schreiben und ihn in unsere Liste der gemeinsam gelesenen und erfahrenen Bücher aufzunehmen. Die Autorin Dayan Kodua mit Wurzeln in Ghana, aufgewachsen in Kiel, ist Schauspielerin, Autorin, Aktivistin, Verlegerin und Mutter. Sie arbeitete in Filmproduktionen sowohl in Deutschland als auch in den USA. 2014 gab sie im Seltmann und Söhne Verlag den Bildband „My Black Skin. Schwarz. Erfolgreich. Deutsch.“ heraus. An ihrem Kinderbuch „Odo“ (Betonung auf der zweiten Silbe [odó]) hat sie wohl schon seit 2010 gearbeitet und es 2019 endlich im Eigenverlag veröffentlicht. Dieses Jahr soll ein weiterer Band von Odo erscheinen: ihre Reise von Ghana nach Deutschland – auf jeden Fall auf unserer Liste! Es gibt einige Parallelen zwischen „Odo“ und dem bereits besprochenen Buch „Nelly und die Berlinchen“: eine Schwarze Protagonistin, eine deutsche Autorin, keine Übersetzung aus dem Englischen… und wie auch „Nelly und die Berlinchen“ wurde „Odo“ im Eigenverlag veröffentlicht, was kein gutes Licht auf die großen Verlage des deutschen Kinder-/Bilderbuchmarktes wirft. Sie scheinen sich noch immer mit der Darstellung von ProtagonistInnen mit nicht weißer Hautfarbe schwer zu tun.

Odo ist ein sechsjähriges Mädchen, das mit ihrer alleinerziehenden Mutter in einem kleinen Dorf lebt. Odo spielt am liebsten mit Puppen, aber da ihre Mutter kein Geld hat, kann sie ihr keine kaufen, sondern bastelt ihr welche aus getrockneten Mangokernen. Bei ihrer Freundin Afia, die aus einer vermögenden Familie kommt (opulentes Kindergeburtstagsfest, Vater arbeitet im Ausland), hat sie eine schwarze Puppe gesehen und möchte unbedingt auch eine. Ihre Mutter macht ihr jedoch klar, dass dafür das Geld auf keinen Fall reichen wird. Odo zieht sich an den Ort zurück, den sie immer aufsucht, wenn sie „sich hilflos und allein fühlte“: ein Baum, der das ganze Jahr grün ist und unter dem sich viele Tiere des Dorfes tummeln (Hühner, Ziegen, Schafe). Als sie weint, kommt der Stammesälteste des Dorfes, dem Odo von ihrem Wunsch erzählt. Der hat auch gleich einen Ratschlag parat: „Ich bin mir sicher, dass du die Puppe bekommen kannst. Du musst nur an deine Träume glauben, dabei aber auch hart an dir und in der Schule arbeiten und für deine Ziele beten. Manche guten Dinge benötigen ihre Zeit. Du musst nur weiter daran glauben und sie in deinen Gedanken lebendig machen. Und du musst viel Geduld aufbringen. Nun geh nach Hause, trockne deine Tränen und folge der Stimme deines Herzens. Sie wird dir den richtigen Weg weisen.“ Die Zeit vergeht und Odo versucht die Ratschläge des Dorfältesten umzusetzen. An ihrem siebten Geburtstag bekommt sie allerdings leider keine Puppe. Ihre Mutter musste sich Geld von der Nachbarin leisten, um überhaupt Reis mit Soße, Getränke und Muffins den Geburtstagsgästen anbieten zu können. Odo ist total traurig, dass sie ihre so heiß ersehnte Puppe nicht bekommen hat, verbringt aber trotzdem einen tollen Tag mit ihrer Mutter und den Gästen. Am nächsten Tag schlägt sie ihrer Mutter vor, mit ihren begehrten Muffins ein Geschäft zu eröffnen. Nach erstem Widerstand willigt die Mutter schließlich ein, es zumindest zu versuchen, und natürlich wird aus der Business Idee ein totaler Hit. Schon bald können sie sich vergrößern und Leute einstellen, Odo kann von der Dorfschule auf eine internationale Schule wechseln und zu guter Letzt fahren sie in die Stadt (ein richtiger Ausflug), um die Puppe zu kaufen. Leider gibt es keine mehr – wieder Tränen. Wieder zurück zu Hause taucht plötzlich wieder der Stammesälteste auf und übergibt Odo ein verspätetes Geburtstagsgeschenk: natürlich eine schwarze Puppe! Odo ist überglücklich und läuft gleich zu ihrem Baum. Wie der Stammesälteste ihr sagte, kann sie, wenn es ihr mal nicht gut geht, ihre Puppe ganz fest drücken und dann wird sie mit ihr sprechen. Und prompt hört sie: „Liebe Odo, wenn wir anfangen, mit unseren eigenen Augen zu sehen und mit unserem eigenen Herzen zu fühlen, entdecken wir, wie glücklich wir sind.“

Die Botschaft ist etwas platt, zugegeben, aber den Kindern hat es gut gefallen, weshalb ich denke, dass man manchmal auch solcherlei Botschaften explizit sagen kann. Ob man nun gläubig ist oder nicht, Botschaften wie „halte durch“, „glaub an dich“ und „arbeite auf etwas hin“ sind universal einsetzbar und definitiv etwas, das die Kleinen lernen sollten. Vor allem die ungeduldigeren unter ihnen. Und in manchen Situationen und bei manchen (kleinen) Persönlichkeiten hilft es ja, wenn man konkret formulierte „Anleitungen“ hat. Ich denke an A., ein Kind, das sehr davon profitiert, konkrete Instruktionen zu bekommen, die Schritt für Schritt abgearbeitet werden können. Eine Bastelarbeit von A sieht dem Bild in der Anleitung immer sehr ähnlich. (E hingegen ist ein Kind, das immer seinen eigenen Trip fährt. Bastelarbeiten sehen hier nie so aus, wie sie aussehen sollten.)

Man merkt, die Geschichte ist ziemlich lang und hat auch durchaus ein paar Längen. Eine kurze Gute-Nacht-Geschichte ist das nicht. Beim Vorlesen stört man sich manchmal an den angedeuteten Höhepunkten, die dann enttäuscht werden, und der langen erzählten Zeit (Monate!). Auch das Esoterisch-Religiöse ist sicherlich nicht für jederman. Aber das Wunderbare an der Geschichte ist die eigene Logik und diese Längen gehören vielleicht einfach dazu. Im Vergleich zu einer Vater-Mutter-Kind-Haus-Auto-Hund-Spielsachen-Glückseligkeit berührt „Odo“ ganz grundsätzliche Aspekte der menschlichen Existenz. In dieser Hinsicht hat mich die Geschichte in vielen Punkten an Leben in Ecuador erinnert: der Glaube, die Dorfgemeinschaft, die Armut, der Glaube an Empowerment, die lange Überlandfahrt bis zur nächsten Stadt, die Wichtigkeit von Reis, die nicht Verfügbarkeit von etwas (Spielsachen, Essen, Vater …).

Ich fand es toll, dass einmal in einem nicht christlichen Buch vom Beten und von Gott die Rede war und die Protagonistin auch beim Beten gezeigt wurde. Während Europa immer atheistischer wird, sind Glaube, Gott und Beten in vielen anderen Ländern völlig gang und gäbe und gehören ohne thematisiert zu werden zum Alltag. Hier ist natürlich das Besondere die Figur des Stammesältesten – ein Konzept, das man ja in Deutschland (wie auch im urbanen Ecuador) nicht kennt. „Wer ist denn dieser Mann?“ wurde ich gefragt. Ja, gute Frage, so genau weiß ich das leider auch nicht. Aber er fühlt sich ja irgendwie verantwortlich und scheint, gleich einem Mentor oder Lehrer, Odo auch aus der Ferne zu begleiten und ihr „life lessons“ beizubringen.  

Die Beziehung zwischen Odo und ihrer Mutter ist ganz toll, sehr eng und verständnisvoll. Hier scheint die Mutter beste Freundin zu sein und dennoch nicht aus der Rolle der verantwortungsbewussten Mutter zu fallen. Doch die Mutter ist sehr limitiert in dem, was sie Odo bieten kann. Das macht sie traurig: sie schaut Odo traurig an, wenn das Kind sie um etwas bittet oder erwartet, und redet ganz leise.

Die totale Abwesenheit des Vaters thematisiert auch ein real existierendes Problem: eine Frau wird geschwängert und verlassen, sie zieht dann am Rande des Existenzminimums ihr Kind auf. Ihr sozialer Status in der Gesellschaft ist sicherlich fast in jedem Land niedrig, wird hier aber nicht thematisiert.  

Meine Kinder hat sehr beeindruckt, dass Odos Mama nicht lesen kann und es erst mit Odo zusammen lernt, bzw. Odo es ihr beibringt. Auch dies ein nicht so untypisches Phänomen in manch anderem Land.

Auch eine typische unternehmerische Idee aus einem Entwicklungsland: Ich koche oder backe etwas und verkaufe es. Das gibt es in Ecuador ebenfalls en masse, liegt aber, wie ich finde, dem deutschen Geist sehr fern.

Die Illustrationen sind sehr schön in warmen Gelbtönen und es gibt wieder viel zu entdecken: die runden Häuser, in denen die Leute im Dorf leben, die Bauernhoftiere, die überall herumlaufen, die westafrikanischen Muster auf der Kleidung, Babys auf dem Rücken, Tücher oder Körbe auf den Köpfen und nicht zuletzt die Hüpfspiele der Kinder, die unbedingt nachgespielt werden mussten …

© Kathrin Schneider

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2 Gedanken zu “Odo.

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